Der nach meinem Eindruck recht bemühte Schulterschluss mit London zeigt uns in Europa deutlich, wo bei allen Gemeinsamkeiten die Unterschiede liegen. Dabei haben gerade die Briten in den letzten Jahren deutlich gemacht, dass sie auf der Insel bleiben wollen, wohingegen Deutsche und Franzosen sich mehrfach um einen Schulterschluss bemüht haben.
Franzosen und Deutsche. Zu komplex die Materie, zu weit das Feld. Schon die Entscheidung, ob es der warnende Zeigefinger oder ein aufmunternder Klaps auf den bemühten Hintern der Diplomatie sein soll, ein Ding der Unmöglichkeit. Tatsächlich, die Umarmung der Deutschen und Franzosen scheint mitunter nur darum so fest zu sein, damit sich der Umarmte nicht rühren kann. Die beiden Völker scheinen auf den ersten und zweiten Blick so verschieden, die Möglichkeiten für Mißverständnisse so unbegrenzt, daß auch eine noch so eisern beschworene Freundschaft kaum funktionieren kann. Selbst das Wort „Völker“ ist dabei schon gut drei Meter gebundenen Kommentars wert und könnte zumindest beim Leser im Elsass heftige Reaktionen auslösen. Und woran einen solchen Artikel aufhängen? An der unterschiedlichen Charaktereigenschaften? Der Deutsche für die Ewigkeit direkt, korrekt und pünktlich? Der Franzose geht bekleidet in die Sauna und redet nur zwischen den Zeilen? Klassische Vorurteile. Sollten die Unterschiede in der Sprache als Aufhänger dienen, ein Artikel also über Hunde, Katzen, und warum sich diese nicht verstehen? Über klassische und Rockmusik?
Vielleicht könnte das bewährte und unabnutzbare Thema Essgewohnheiten für einen ganz und gar politisch unschuldigen, feuilletonistischen Artikel herhalten. Nicht gerade die Frage, was der Weltauswahl-Diplomat Chirac wohl erleidet, wenn er vom Kanzler in ein Lokal mit Namen „Zur letzten Instanz“ eingeladen wird und ob er statt Eisbein lieber ein Schenkelchen hätte. Oder die Frage, ob es naiv sei, sich die Frage zu stellen, ob ein französischer Staatspräsident überhaupt über das Essen nachdenkt, wenn er eine wichtige außenpolitische Mission ohne Gesichtsverlust zu erfüllen hat. Nein. Unwillkürlich käme einem 1995 in den Sinn, als Deutschland wegen der französischen Atomtests zum Boykott französischer Waren wie Champagner oder Camembert aufrief. Dieses Kapitel sollte aber in Zeiten des Schulterschlusses tunlichst unerwähnt bleiben.
Überhaupt: Champagner und Camembert. Der "gute Deutsche" hängt an diesen Produkten – zusammen mit Baguette die großen Drei – seinen Eindruck von Frankreich auf. Dabei halten viele Franzosen Champagner gar nicht mal für Wein, weil er nach der Abfüllung gezuckert wird. Und haben Sie schon einmal einen Franzosen gesehen, der Camembert isst? Zuletzt: Baguette, ja, vielleicht, zum Frühstück bei armen Leuten. Aber das Frühstück hat keine gesellschaftliche Bedeutung. Auch wenn es für leichtes, weisses Brot gleich sechs verschiedene Begriffe gibt – trotzdem, keine Bedeutung. Ganz im Gegensatz zum Abendessen, das nicht vor acht beginnt und bis gut nach Mitternacht gehen kann. Und hierzu Wein – immer mit dem Essen – und zum Abschluß Käse. Der Höhepunkt des französischen Tages.
Es soll also um Käse und Wein gehen. Und selbst hier gilt es, eine Auswahl zu treffen. Denn die rund zweitausend bekannten französischen Käsesorten lassen sich genausowenig besprechen wie die Weigerung der besten Winzer der Welt, wenn es um die Verschärfung der Qualitätskriterien für Bordeauxweine geht. Einige Dutzend Käse aus Frankreich fallen schon deshalb heraus, weil sie vermutlich unter das Kriegswaffenkontrollgesetz fallen. Zu deftig. Bleiben einige bekannte Sorten, wie beispielsweise Morbier. Was bewegt jemanden, der so feinsinnig sein darf wie nur ein Franzose, Asche auf seinen Käse zu streuen? Aber halt, auch den Verzehr von Morbier wäre nicht als typisch französisch zu klassifizieren. Industrielle, pasteurisierte Markenkäse sind eher für den Export. Besser Comté und Beaufort. Noch besser Vacherin de Mont d´Or. Oder Regionales. In Frankreich paßt meist alles so exzellent zusammen in einer Region, daß einem schon Angst und Bange werden kann, man befände sich in einem perfekten Werbespot. Die Landschaft, der Wein, der Käse, die Menschen. Ganz anders in Deutschland. Oder wen charakterisieren Brot, Wurst und Bier? Lange sucht man verzweifelt nach vergleichbarem, hat schon Angst, Deutschlands Esskultur könnte ebenso belanglos sein wie seine Aussenpolitik. Aber ach: Es gibt sie doch, die Deutschen Käsestraßen: Die Bregenzerwälder Käsestraße im Süden oder die Käsestraße Schleswig-Holstein im Norden. Sind aber Marketingverbunde und wiederum nicht vergleichbar mit Auvergne, Aquitaine, Midi-Pyrénées, Franche-Comté oder Normandie. Also wieder kein Vergleich möglich, zum Haareraufen.
Resigniert. Warum auch Vergleiche. Was zählt ist innen. Und da ist ein Großteil der Franzosen nicht minder hin und her gerissen zwischen Vorurteil und Faszination für das freundschaftlich fremde Volk als die Deutschen. Und im Zuge des europäischen Zusammenwachsens wollen und müssen beide sich öffnen und tun es bereits. Die Umarmung wird lockerer und fröhlicher, die Deutschen probieren was anderes als Gouda, die Franzosen gehen an die Pommesbude, importiertes Bier trinken – im Augenblick noch heimlich, aber was nicht ist, kann noch kommen. Viele Deutsche lernen Französisch, einige Franzosen geben sich Mühe, sie zu verstehen. Alles in allem zwar keine allgemeingültige Betrachtung möglich, aber sehr viel Hoffnung.
Derzeit schwitzt Paris unter der Hitze. Im Schwitzen werden wir alle gleicher. Darauf einen Bordeaux. Dann klappt´s auch mit den Nachbarn.