Dienstag, Juli 12, 2005

Wir werden uns nicht ändern!? Länderfreundschaften, I.

Der nach meinem Eindruck recht bemühte Schulterschluss mit London zeigt uns in Europa deutlich, wo bei allen Gemeinsamkeiten die Unterschiede liegen. Dabei haben gerade die Briten in den letzten Jahren deutlich gemacht, dass sie auf der Insel bleiben wollen, wohingegen Deutsche und Franzosen sich mehrfach um einen Schulterschluss bemüht haben.

Franzosen und Deutsche. Zu komplex die Materie, zu weit das Feld. Schon die Entscheidung, ob es der warnende Zeigefinger oder ein aufmunternder Klaps auf den bemühten Hintern der Diplomatie sein soll, ein Ding der Unmöglichkeit. Tatsächlich, die Umarmung der Deutschen und Franzosen scheint mitunter nur darum so fest zu sein, damit sich der Umarmte nicht rühren kann. Die beiden Völker scheinen auf den ersten und zweiten Blick so verschieden, die Möglichkeiten für Mißverständnisse so unbegrenzt, daß auch eine noch so eisern beschworene Freundschaft kaum funktionieren kann. Selbst das Wort „Völker“ ist dabei schon gut drei Meter gebundenen Kommentars wert und könnte zumindest beim Leser im Elsass heftige Reaktionen auslösen. Und woran einen solchen Artikel aufhängen? An der unterschiedlichen Charaktereigenschaften? Der Deutsche für die Ewigkeit direkt, korrekt und pünktlich? Der Franzose geht bekleidet in die Sauna und redet nur zwischen den Zeilen? Klassische Vorurteile. Sollten die Unterschiede in der Sprache als Aufhänger dienen, ein Artikel also über Hunde, Katzen, und warum sich diese nicht verstehen? Über klassische und Rockmusik?

Vielleicht könnte das bewährte und unabnutzbare Thema Essgewohnheiten für einen ganz und gar politisch unschuldigen, feuilletonistischen Artikel herhalten. Nicht gerade die Frage, was der Weltauswahl-Diplomat Chirac wohl erleidet, wenn er vom Kanzler in ein Lokal mit Namen „Zur letzten Instanz“ eingeladen wird und ob er statt Eisbein lieber ein Schenkelchen hätte. Oder die Frage, ob es naiv sei, sich die Frage zu stellen, ob ein französischer Staatspräsident überhaupt über das Essen nachdenkt, wenn er eine wichtige außenpolitische Mission ohne Gesichtsverlust zu erfüllen hat. Nein. Unwillkürlich käme einem 1995 in den Sinn, als Deutschland wegen der französischen Atomtests zum Boykott französischer Waren wie Champagner oder Camembert aufrief. Dieses Kapitel sollte aber in Zeiten des Schulterschlusses tunlichst unerwähnt bleiben.

Überhaupt: Champagner und Camembert. Der "gute Deutsche" hängt an diesen Produkten – zusammen mit Baguette die großen Drei – seinen Eindruck von Frankreich auf. Dabei halten viele Franzosen Champagner gar nicht mal für Wein, weil er nach der Abfüllung gezuckert wird. Und haben Sie schon einmal einen Franzosen gesehen, der Camembert isst? Zuletzt: Baguette, ja, vielleicht, zum Frühstück bei armen Leuten. Aber das Frühstück hat keine gesellschaftliche Bedeutung. Auch wenn es für leichtes, weisses Brot gleich sechs verschiedene Begriffe gibt – trotzdem, keine Bedeutung. Ganz im Gegensatz zum Abendessen, das nicht vor acht beginnt und bis gut nach Mitternacht gehen kann. Und hierzu Wein – immer mit dem Essen – und zum Abschluß Käse. Der Höhepunkt des französischen Tages.

Es soll also um Käse und Wein gehen. Und selbst hier gilt es, eine Auswahl zu treffen. Denn die rund zweitausend bekannten französischen Käsesorten lassen sich genausowenig besprechen wie die Weigerung der besten Winzer der Welt, wenn es um die Verschärfung der Qualitätskriterien für Bordeauxweine geht. Einige Dutzend Käse aus Frankreich fallen schon deshalb heraus, weil sie vermutlich unter das Kriegswaffenkontrollgesetz fallen. Zu deftig. Bleiben einige bekannte Sorten, wie beispielsweise Morbier. Was bewegt jemanden, der so feinsinnig sein darf wie nur ein Franzose, Asche auf seinen Käse zu streuen? Aber halt, auch den Verzehr von Morbier wäre nicht als typisch französisch zu klassifizieren. Industrielle, pasteurisierte Markenkäse sind eher für den Export. Besser Comté und Beaufort. Noch besser Vacherin de Mont d´Or. Oder Regionales. In Frankreich paßt meist alles so exzellent zusammen in einer Region, daß einem schon Angst und Bange werden kann, man befände sich in einem perfekten Werbespot. Die Landschaft, der Wein, der Käse, die Menschen. Ganz anders in Deutschland. Oder wen charakterisieren Brot, Wurst und Bier? Lange sucht man verzweifelt nach vergleichbarem, hat schon Angst, Deutschlands Esskultur könnte ebenso belanglos sein wie seine Aussenpolitik. Aber ach: Es gibt sie doch, die Deutschen Käsestraßen: Die Bregenzerwälder Käsestraße im Süden oder die Käsestraße Schleswig-Holstein im Norden. Sind aber Marketingverbunde und wiederum nicht vergleichbar mit Auvergne, Aquitaine, Midi-Pyrénées, Franche-Comté oder Normandie. Also wieder kein Vergleich möglich, zum Haareraufen.

Resigniert. Warum auch Vergleiche. Was zählt ist innen. Und da ist ein Großteil der Franzosen nicht minder hin und her gerissen zwischen Vorurteil und Faszination für das freundschaftlich fremde Volk als die Deutschen. Und im Zuge des europäischen Zusammenwachsens wollen und müssen beide sich öffnen und tun es bereits. Die Umarmung wird lockerer und fröhlicher, die Deutschen probieren was anderes als Gouda, die Franzosen gehen an die Pommesbude, importiertes Bier trinken – im Augenblick noch heimlich, aber was nicht ist, kann noch kommen. Viele Deutsche lernen Französisch, einige Franzosen geben sich Mühe, sie zu verstehen. Alles in allem zwar keine allgemeingültige Betrachtung möglich, aber sehr viel Hoffnung.

Derzeit schwitzt Paris unter der Hitze. Im Schwitzen werden wir alle gleicher. Darauf einen Bordeaux. Dann klappt´s auch mit den Nachbarn.

9 Kommentare:

Unknown hat gesagt…

Sehr, sehr gut.
Sollte das mit dem Schulterschluss wie erhofft klappen, dann möchte ich bitte in unseren Supermärkten (!!!) auch eine so riesige Käseauswahl, dass man dafür ein Viertel des Hauses verwenden muss!
Von uns könnten die Franzosen im Übrigen mal Kuchen probieren, denn die französischen sind nicht wirklich gut. Im Übrigen blätterte ich erst vorgestern in einem Kochbuch von ca. 1970, in welchem beschrieben wurde, wie wichtig gerade Baguette für Franzosen sei und natürlich vergleichbar mit der Bedeutung der Kartoffel für die Deutschen und von Reis für die Asiaten (gut, dass da nicht so viele Vorurteile beschworen wurden!).
Ansonsten ist das Buch aber sehr zu empfehlen. Ich glaube, dass ist es: http://www.amazon.de/exec/obidos/ASIN/3499164329/qid=1120904125/sr=8-1/ref=sr_8_xs_ap_i1_xgl/028-5552651-8616532

Anonym hat gesagt…

Es gab Anfang 2004 Artikel die statt der Freundschaft von einer Amour francoallemand sprachen, ja man sah schon Francallemange aufziehen.

Anonym hat gesagt…

Fein beobachtet, fein beschrieben.
Die Umarmung wird lockerer und fröhlicher, die Deutschen probieren was anderes als Gouda, die Franzosen gehen an die Pommesbude, importiertes Bier trinken... zu schön.
Gerade jetzt wetteifern sie um den Titel, "bestes Radsportpublikum der Tour"...

F hat gesagt…

Franziska, Danke für das Lob und den Tipp.

The Exit, ich spekuliere nach Scheitern der Verfassung ganz insgeheim mit einem Kern-Europa. Deutschland kann sich keine andere Meinung als Frankreich leisten...

Schroeder, und sie hassen Lance Armstrong. Trotz der Biographie.

raphael m. hat gesagt…

Ich wohne grenznah und kann irgendwie nichts von der "Brüderlichkeit" merken.
Ausser der obligatorischen sehr nervenaufreibenden Fahrt in den "Cora" Supermarkt, dorthin wo es Strassen gibt die wir hier bestenfalls als "Feldweg" bezeichnen würden, und wo man Angst haben muss dass ein ohne zu blinken nach rechts rausziehender LKW im viel zu engen Kreisel einen wegputzt, mitsamt der Ladung soeben eingekauftem Volvic mit Geschmack und den ganzen französischen Süssigkeiten die es hier nicht gibt.
Man ärgert sich wie gewohnt über die wie gewohnt als "Froschfresser" bezeichneten neuen Brüder, denkt sich beim Einkauf wie gewohnt sein "Fuck Chiraque" und ärgert sich weil die Zigaretten in Frankreich jetzt nicht mehr billiger sind als hier.
Nur eben tut man dies alles jetzt etwas liebervoller als vorher, denn schliesslich sind wir jetzt alle Brüder...
Komisch nur, dass grenznah jeder Franzose Deutsch spricht, es sei denn man fragt nach dem Weg....
Aber Hauptsache in Saarbrücken schmückt sich mitlerweile jede Kneipe mit französischem Flair, und schüttet den billigen Flaschenwein ( aus dem CORA ) vorher in ein Holzfässchen.

texas-jim hat gesagt…

Ich bin, wie bereits bekannt sein dürfte, kein Experte im Umgang mit Weinen, und erlaube mir daher nur, sehr vorsichtig anzumerken, daß Wein bei dieser Hitze, die allerdings gerade auf Urlaub zu sein scheint und womöglich garnicht bemerkt hat, daß sie im Juli dem Wetter ganz gut zu gesicht stünde, auch die besten Freunde zu Feinden machen kann.

(So auch Schachtelsätze.)

raphael m. hat gesagt…

Ich trinke keinen Wein, generell nur selten Alkohol, aber ich liebe, und das will ich an dieser Stelle mal gesagt haben, Schachtelsätze ;-)

bittersweetchoc hat gesagt…

Der Franzose geht bekleidet in die Sauna: das ist mir neu. ist das so?!

F hat gesagt…

Raphael, so an der Grenze bekommt man natürlich noch andere An- und Einblicke. Mein Bruder meinte letztens, die Franzosen fahren wie besoffene Hühnchen. ;-) Na ja, Straßenverkehr, "alle blöd außer ich!" Und Wein hat da auch nichts verloren.

Texaaas, Texaaas, kann, nicht muss, ich denke, es wächst zusammen, was zusammen gehört.

bsc, fragen Sie mal einen. Letztens auf La Palma durfte ich nur bekleidet in die Sauna, man sagte mir, mit Rücksicht auf die F.