Montag, Januar 29, 2007

Degeneration Golf

Ich kann ja Leute nicht ernst nehmen, die ständig allen vorjammern, sie hätten so viel zu tun. Denn ich halte es in den meisten Fällen für Getue. Wichtiggetue. Und wenn es das nicht ist, dann ist es entweder mangelnde Arbeitsorganisationsfähigkeit oder Charakterschwäche. Mitleidsgeheische. Denn die Jammerer, das sind meistens die mit dem ersten ernsthaften Job. Ich kenne sie alle, diese Jammerer. Die, die meinen, so wichtig und besonders zu sein. Denn ich war auch mal so.

Nach dem Studium, Büro am Strand ohne Gesang, fing ich in einem rasant wachsenden Neuer-Markt-Unternehmen an, wurde innerhalb von neun Monaten Abteilungsleiter und war zuletzt für 24 Mitarbeiter verantwortlich. Der Umsatz der Firma wuchs auf zwei Milliarden, ich führte quasi nebenbei die größte Klage, die je gegen die Bundesrepublik Deutschland eingereicht wurde, war dabei, als Unternehmen gekauft und eingegliedert wurden, erklärte die Unternehmensstrategie auf Englisch vor 150 Franzosen und flog in Europa herum. Wir standen täglich im Licht der Öffentlichkeit, ein Tag ohne Schlagzeile war kein guter Tag. Statt Mittagessen gab es Business Lunch mit den Vorständen, statt Quatschen mit Mitarbeitern gab es Führung. Ich war jeden Abend bis 22:00 Uhr in der Firma, meine Beziehung litt, meine Freunde wurden weniger, ich redete zu viel von Erfolg. Um mich herum immer mehr Wichtigtuer und Schlipsträger, ich war jemand. Ich ging auch mit Grippe hin, schließlich war ich unentbehrlich. Endlich auch für meine Eltern, ich spürte das, als ich mit dem großen Audi vorfuhr. Im Sportsakko nach Hause. Mein erfolgreicher und bekannter Vater musste vorher immer daran gelitten haben, dass sein Sohn nur Durchschnitt war. Und den Sohn hatte es gelähmt, immer nur als Sohn von betrachtet zu werden. Endlich war alles im Lot, man konnte mit mir angeben. Ich war durchgebrochen.

Mit einem Knall war die Story dann vorbei, die Aktienoptionen nicht mehr das Einfamilienhaus an der Förde wert, die sie erst noch versprachen. Der Vorstandsvorsitzende wurde rausgekegelt, ich als Kämpfer an seiner Seite gleich mit, ein Aufsichtsrat wollte meinen Kopf mit einem eigenen Spezi besetzen.

Da stand ich dann, meiner Macht beraubt, Freundeskreis rudimentiert, Beziehung im Eimer, Kopf voller Scheisse, pleite. Alles gesetzt und alles verloren. Ich hatte so viel zu tun gehabt. Die Arbeit definierte die Person.

Die Zeit danach war hart, aber wichtig. Brutal stand ich vor dem Nichts, in dem vorher Alles war. So langsam gewann ich die Frische im Kopf zurück und besann mich darauf, was wirklich zählt. Treppenstufe für Treppenstufe kam ich herunter zu mir selbst. Trug das Arschloch ab. Ich suchte mir einen einfachen Job in einem kleinen Betrieb, wo man sein Revier nicht abpissen muss. Wo man einfach arbeitet und nette Kollegen hat, auf die man sich freuen kann. Mit geregeltem Feierabend. Manchmal gibt es auch da Phasen, da arbeitet man mal eine Woche bis spät in die Nacht. Ist eben so. Eins nach dem anderen. Muss man nur organisieren. Für die Jammerer wäre das schon der Untergang des Abendlandes. Sie müssten jedem erzählen, wie busy sie wären und wieviel sie zu leisten im Stande sind.

Lächerlich. Nicht jeder muss Großes leisten.

15 Kommentare:

nora hat gesagt…

...heißt es, man leistet Großes, nur weil man ein Sakko trägt und stolz darauf ist, übermüdet zu sein?

Komisch, manchmal wundere ich mich sehr über unsere (das heißt auch: meine) Werte. Gut ist, wenns einem dreckig geht, weil man dann was "geleistet" hat.

"Sehr her, in spätestens fünf Jahren habe ich einen Herzinfarkt - meinen Partner habe ich seit 3 Jahren nicht gesehen, Kinder habe ich - glaube ich - nicht und täglich schufte ich 27h."

Anonym hat gesagt…

ich kann für mich behaupten, dass mir das ende der new economy-blase wieder den für mich richtigen weg aufgezeigt hat. klar, ich hätte die aktien-optionen gerne zum höchstwert gegen ein haus mit alsterblick getauscht, aber so reichte es für ein neues motorrad und die rückbesinnung auf die wirklich wichtigen dinge führte zu einer deutlich erhöhten lebensqualität. ich wollte so einen job wie früher nicht mehr machen. echt nicht. das wäre es mir nicht wert.

100 Goldfischli hat gesagt…

Irgendwie ist das eine andere Welt. Aber egal. Ich hab eine gänzlich andere Frage - erklärst Du mir "Studium: Büro am Strand ohne Gesang"?

Ich nehme mal an, das ist ein nahe liegendes Wortspiel mit der englischen Sprache, kann das aber irgendwie nicht erraten: office at the beach with no singing?

Anonym hat gesagt…

hm. ich bin irritiert.leisten nur vorgesetzte schlipsträger.. grosses?

F hat gesagt…

Mein letzter Satz ist offenbar aus einem anderen Zusammenhang in diesen gerutscht, und passt nicht so recht hinein. Ich ging davon aus, dass die Jammerer sich selbst unter Druck setzen, weil sie denken, sie müssten sonstwas leisten. Ich wollte mit dem Satz den Druck von den Schultern nehmen. Offenbar lausig formuliert.

Sonderzeichen, Büro am Strand ist eine Singformation, nach deren Namen ich mein Studium organisiert habe. Nur kann ich nicht singen.

Eric, geht mir auch so. Bis auf manchmal, in diesen kleinen, spitzen Minuten.

Anonym hat gesagt…

Wenn "Großes" auch "große Scheiße" einschließt - ja, dann leisten vorgesetzte Schlipsträger häufig sehr viel Großes, Herr 500.

Und allen, die vor Selbstbeweihräucherungs-Größenwahn die Bodenhaftung langsam
verlieren, empfehle ich einen Arbeitsplatz im Siegerland.

Anonym hat gesagt…

Jetzt erst gelesen: Chapeau!
Entarschlochisierung geht offensichtlich voran! :)

Wollte noch viel mehr schreiben - aber ich BIN SO BUSY grad'! :)

F hat gesagt…

Eigenart, SIEGERland? LOL. Die waren bestimmt ziemlich busy bis zum Sieg.

F hat gesagt…

MC, Sie wären jetzt der Richtige gewesen, mehr zu schreiben.

saxana hat gesagt…

Das alles geht mir zu sehr in nur eine Richtung. Gibt auch Schlipsträger, die nicht scheiße sind. Gibt auch Vielarbeiter, die wenig Zeit haben und Großes leisten.

Anonym hat gesagt…

Und erst die arbeitslosen Heulsusen: Nix zu tun und nur am Jammern.

ehfie hat gesagt…

Ich hab immer was zu tun!
Sonst wär mir auch langweilig. Und Studium haut ganz schön rein. Also gestern...da hab ich erst vier Stunden Klausur geschrieben und im Anschluss noch sieben Stunden lang (bis um halb zwei) Stundenvorbereitungen entworfen. Ja...ja!

:-)

Wie Recht Sie doch haben, Kleines F

Anonym hat gesagt…

Personen die keine Zeit haben sind unfähig sich zu organisieren. Es gibt nicht "keine Zeit", es gibt nur schlechtes Zeitmanagement. Und diese Personen sind nicht für höhere Positionen berufen. Aber ich muss jetzt Schluss machen - habe keine Zeit.

Anonym hat gesagt…

jaja, wart mal ab, bis bei Dir Arthrose diagnosiziert wird :)
btw: mein Sonnenbrand geht gerade wieder weg.

neo_vi hat gesagt…

das ist verdammt gut geschrieben.
neo